Kanada: Die Anklagen gegen die kriminalisierten Landverteidiger*innen der Wet’suwet’en Nation müssen sofort fallen gelassen werden!

In der kanadischen Provinz British Columbia (BC) wehren sich die indigenen Hereditary Chiefs der Wet’suwet’en Nation zum Schutz ihres Territoriums seit langem gegen den Bau der Flüssiggas-Pipeline von Coastal GasLink (CGL) des kanadischen Unternehmens TC Energy, die ohne ihre rechtmäßige, „freie, vorherige und informierte Zustimmung“ gebaut wird. Sie verläuft quer durch ihr angestammtes Land und ist inzwischen weitgehend fertig gestellt.

In dem Report ‘Removed from our land for defending it’: Criminalization, Intimidation and Harassment of Wet’suwet’en Land Defenders  hat Amnesty International massive Menschenrechtsverletzungen gegenüber friedlich protestierenden Landverteidiger*innen im Zuge von vier groß angelegten Polizeirazzien, willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen sowie im Alltag der Gemeinschaft dokumentiert.

Anfang dieses Jahres wurden drei der Angeklagten wegen Missachtung einer einstweiligen Verfügung vom Supreme Court of British Columbia schuldig gesprochen. Ihnen drohen 30 Tage Haft. Das Verfahren dauert an, da das Gericht gegenwärtig ihre Anträge wegen Verfahrensmissbrauchs bzw. Menschenrechtsverletzungen prüft. Amnesty International hat diesen Schuldspruch verurteilt und wird den Prozess auch weiterhin sehr genau beobachten.

Den Bericht von Amnesty Kanada vom 16. Januar 2024 und den Beitrag im Amnesty Journal zu dem Thema könnt Ihr hier nachlesen.

Unsere Forderungen

In Solidarität mit den Landverteidiger*innen der Wet’suwet’en und ihren Unterstützer*innen fordern wir von der Generalstaatsanwältin, Niki Sharma, dass

  • die Anklagen gegen die Landverteidiger*innen wegen Missachtung einer einstweiligen Verfügung unverzüglich fallengelassen werden,
  • die Einschüchterung, Belästigung, unrechtmäßige Überwachung und rassistische Diskriminierung der Wet’suwet’en seitens der kanadischen Polizei (RCMP) und der Sicherheitskräfte des Unternehmens sofort aufhören.

Online Petition & Postkartenaktion

Hier geht es direkt zur Online Petition!

Außerdem schicken wir Postkarten mit unseren Forderungen an die die Generalstaatsanwältin von British Columbia. Das Postkartenmotiv steht für Euch zum Download bereit: Postkartenaktion_Kanada_Wet’suwet’en

Bitte beteiligt euch an der Aktion und fordert die Generalstaatsanwältin von British Columbia Niki Sharma auf, die Anklagen fallen  zu lassen. Vor dem Hintergrund des laufenden Verfahrens und weiterer Prozesse wollen wir den Druck auf die Regierung von British Columbia noch einmal erhöhen und hoffen sehr auf eure breite Unterstützung! Teilt euer Engagement auch gerne auf euren Social Media Plattformen, um noch mehr Menschen auf die Aktion aufmerksam zu machen.

Hintergrundinformationen

Die kanadische Regierung betont die guten Beziehungen zu den indigenen Völkern des Landes. Gleichzeitig
genehmigt und finanziert sie umweltzerstörende Megaprojekte zur Weiterleitung fossiler Brennstoffe, die ohne die
rechtmäßige „freie, vorherige und informierte Zustimmung“ indigener Gemeinschaften durchgeführt werden und
bei denen die Zerstörung von Ökosystemen und Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen werden.
In der kanadischen Provinz British Columbia (BC) kämpfen die Hereditary Chiefs der Wet’suwet’en Nation zum
Schutz ihres Territoriums und ihrer Lebensweise seit mehr als einem Jahrzehnt gegen den Bau einer Flüssiggas-
Pipeline des kanadischen Unternehmens TC Energy, der inzwischen weitgehend abgeschlossen ist. Die 760
Kilometer lange Coastal GasLink Pipeline verläuft quer durch ihr 22.000 Quadratkilometer großes Territorium bis
zum LNG-Terminal in Kitimat.
Nach einem bahnbrechenden Urteil des Supreme Court of Canada von 1997 sind die nach dem Erbrecht
legitimierten Oberhäupter (Hereditary Chiefs) der Wet’suwet’en die traditionellen Autoritäten ihrer Nation und ihres
Landes, auf dem sie seit Urzeiten leben und das sie niemals abgetreten haben. Im Gegensatz zu ihnen
unterzeichneten andere Gemeinschaften der Wet‘suwet’en mit Coastal GasLink Nutzungsvereinbarungen im
Austausch für eine finanzielle Entschädigung, haben aber kein Recht über das Land der Hereditary Chiefs zu
entscheiden.
Zur Durchsetzung des Pipelinebaus beantragte Coastal GasLink entgegen aller Proteste der Wet’suwet’en
Landverteidiger*innen und ihrer Unterstützer*innen beim Supreme Court of British Columbia eine einstweilige
Verfügung, die dieser 2019 bewilligte. Dadurch wurde nicht nur die Fortsetzung des Baus ohne die Zustimmung
der Wet’suwet’en möglich, sondern die Verfügung enthält auch besondere Vollstreckungsklauseln, nach denen
Personen, die sich den Baustellen nähern und bestimmte Straßen blockieren, verhaftet werden können. Für sie
bedeutet das eine unangemessene Beschränkung ihrer Rechte auf Selbstverwaltung und Kontrolle ihres
Territoriums und ihrer friedlichen Versammlungs- und Bewegungsfreiheit. Wie Amnesty International in einer
umfassenden Studie dokumentiert, kommt es seitdem zu Einschüchterung, Belästigung sowie unrechtmäßiger
und aufdringlicher Überwachung der Wet’suwet’en seitens der kanadischen Polizei (RCMP) und der
Sicherheitskräfte des Unternehmens.
Bei vier groß angelegten Razzien zwischen 2019 und 2023 agierte die Polizei (RCMP) mit unverhältnismäßiger
Härte und rechtfertigte ihr Vorgehen mit der einstweiligen Verfügung. Sie war mit Scharfschützen, Hundestaffeln
und Hubschraubern vor Ort, drang gewaltsam in Häuser ein und schüchterte unbewaffnete und friedlich
Protestierende massiv ein. Über 75 Personen wurden willkürlich verhaftet. Nach Recherchen von Amnesty
International gab es während der Polizeirazzien, Festnahmen und Inhaftierungen zahlreiche
Menschenrechtsverletzungen. Indigene Landverteidiger*innen wurden rassistisch diskriminiert, indem sie beleidigt
und härter behandelt wurden als nicht-Indigene. Sie wurden an Händen und Füßen gefesselt und mussten in
langen Unterhosen vor Gericht erscheinen.
Wegen Missachtung der einstweiligen Verfügung wurden 20 Landverteidiger*innen von der
Generalstaatsanwaltschaft von British Columbia angeklagt. Fünf Angeklagte bekannten sich schuldig und wurden
zu Geldstrafen und Sozialarbeit verurteilt. Nachdem sieben Anklagen fallen gelassen wurden, sprach der Supreme
Court of British Columbia Anfang 2024 drei der Angeklagten wegen Missachtung der einstweiligen Verfügung für
schuldig. Ihnen drohen 30 Tage Haft. Das Verfahren dauert an, da das Gericht gegenwärtig ihre Anträge wegen
Verfahrensmissbrauchs bzw. wegen Menschenrechtsverletzungen prüft. Amnesty International hat diesen
Schuldspruch verurteilt und wird den Prozess auch weiterhin sehr genau beobachten.
In der Vergangenheit haben sich verschiedene UN-Gremien wiederholt an die kanadische Regierung gewandt
und ihre Sorge über die Kriminalisierung der Landverteidiger*innen sowie die andauernde Überwachung und
Souveränitätsverletzung auf Wet’suwet’en Land zum Ausdruck gebracht. Sie forderten die Regierung auf, alle
Genehmigungen des Pipelinebaus auszusetzen bis die „freie, vorherige und informierte Zustimmung“ der
Betroffenen eingeholt wurde, so wie es in der UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker (UNDRIP)
verankert ist. Obwohl die Parlamente der Provinz- und Bundesregierung die Umsetzung der UN-Deklaration per
Gesetz in Kraft gesetzt haben, missachtet Kanada zugunsten wirtschaftlicher Interessen die Menschenrechte
indigener Völker.

— Marianne Kersten, Amnesty International, Themenkoordinationsgruppe für Menschenrechte und indigene Völker —

10. April 2024