Wir von Amnesty International Hamburg haben das Ziel, Menschen für das Thema Ableismus zu sensibilisieren und für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft zu kämpfen. Daher nehmen wir den Juli als Disability Pride Month zum Anlass im Rahmen unserer Antidiskriminierungskampagne bei Amnesty Hamburg einen thematischen Beitrag zum Thema Ableismus zu leisten.
Antidiskriminierung – Schwerpunkt Ableismus
Was ist Ableismus und warum ist dieses Thema heute relevant?
Ableismus kommt aus dem Englischen und leitet sich von able bzw. ability (zu deutsch: fähig bzw. Fähigkeit) ab und bezeichnet die strukturelle Diskriminierung von behinderten Personen. Dabei gibt das gesellschaftliche Bild vor, dass ein Mensch in allen Bereichen funktionsfähig sein muss und demnach einer gewissen Norm entsprechen muss. Abweichungen von der Norm werden dann ungern hingenommen und somit werden Menschen, die eine oder mehrere Behinderungen haben, ausgegrenzt, stigmatisiert oder sogar angegriffen.
Beim Ableismus verhält es sich ähnlich wie bei anderen Diskriminierungsformen: Aufgrund der Behinderung werden Trugschlüsse über die Person gezogen bzw. wird die Person auf ihre Behinderung reduziert. Der Begriff stammt aus der Behindertenrechtsbewegung und ist derzeit noch nicht so alltäglich im Gebrauch wie etwa Sexismus oder Rassismus. Manche nutzen auch synonym dazu den Begriff Behindertenfeindlichkeit.
Wie und wo äußert sich Ableismus?
Im Alltag kann sich Ableismus durch Abwertung oder sogar durch eine angebliche Aufwertung zeigen. Etwa Sätze wie „Du bist ja so ein aufgewecktes Kerlchen, obwohl du an den Rollstuhl gefesselt bist.“, sind zwar vielleicht positiv gemeint aber ableistisch, denn dadurch werden behinderte Menschen infantilisiert, d.h. kindlich gemacht. Behinderten Menschen werden oft ihre Fähigkeiten und ihre Selbstbestimmung abgesprochen. Dies ist auch bei dem Klischee, einer behinderten Person über die Straße helfen zu wollen, zu erkennen.
Viele behinderte Menschen kommen im Alltag dank Hilfsmitteln und/ oder Assistenz gut zurecht. Dennoch werden Hilfsmittel oft negativ betrachtet, manchmal sogar als unfairen Bonus gesehen. Dabei wird auch nicht jedes Hilfsmittel zur Bekämpfung von Alltagsbarrieren als dieses erkannt. Zum Beispiel geräuschunterdrückende Kopfhörer werden von Menschen mit erhöhter akustischer Wahrnehmung genutzt (z.B. bei Autismus).
Barrieren finden sich im Alltag leider zu genüge und werden von nicht behinderten Menschen kaum wahrgenommen. Kopfsteinpflaster, flackernde Lichter, Gebäude ohne Aufzug, schwierige Texte, Abwesenheit von Untertiteln und Gebärdensprachdolmetscher*innen sind nur ein paar Beispiele, die den öffentlichen Raum weniger inklusiv gestalten. Selbst in aktivistischen Räumen ist Barrierefreiheit noch nicht zu hundertprozentig angekommen.
Ableismus wird auch nicht immer gleich als solcher erkannt. Viele Menschen gehen schnell in eine Abwehrhaltung, wenn sie auf ihre Diskriminierung und Barrieren aufmerksam gemacht werden.
Ableismus richtet sich nicht nur gegen körperbehinderte Menschen, sondern auch gegen sogenannte unsichtbare Behinderungsbilder wie etwa eine Lernbehinderung, psychische Erkrankungen (z.B. Depressionen, PTSD), Neurodivergenzen (z.B. ADHS, Tourette) und chronische Erkrankungen (z.B. POTS, Long Covid).
Die drastischste Stufe der Diskriminierung von behinderten Menschen äußert sich in Gewalt gegen behinderte Menschen. So wurden etwa dieses Jahr Angriffe auf Einrichtungen der Behindertenhilfe verübt. Einer davon war ein Steinschlag gegen ein Wohnhaus. Der Stein trug die Aufschrift „Euthanasie ist die Lösung“. Dies bezieht sich auf die NS-Zeit, in der viele behinderte Menschen menschenunwürdig behandelt und getötet wurden mit der Begründung „den gesunden Volkskörper zu erhalten und die Menschen vom Leid zu erlösen“. Auch heute ist dieser Sozialdarwinismus (das Prinzip, das Schwächere sich nicht biologisch reproduzieren und infolgedessen aussterben) noch vertreten. Psychische, verbale, körperliche und sexuelle Gewalt wird besonders oft gegen Frauen mit Behinderung(en) gerichtet. Dabei ist auch Machtmissbrauch von pflegenden Personen (z.B. Betreuungskräfte, Angehörige) ein großes Problem.
Was können WIR gegen Ableismus tun?
Oft wird Ableismus nicht als dieser erkannt, weil Menschen nicht sensibilisiert wurden. Nicht behinderte Menschen kommen aufgrund mangelnder Inklusion und Ausgrenzung weniger in Kontakt mit behinderten Menschen. Dabei ist es wichtig, mit behinderten Personen in Kontakt zu treten und ihre Wünsche und Bedürfnisse ernst zu nehmen und zu lernen. Hier sind ein paar Tipps, um ein besserer Ally für die Community der behinderten Menschen zu werden:
- Frage, ob eine Person Hilfe braucht und nimm nicht einfach an, dass eine behinderte Person in jeder Lebenslage auf Hilfe angewiesen ist. Konsens ist auch bei Berührungen wichtig, sowie beim Anfassen von Hilfsmitteln wie dem Rollstuhl.
- Kommuniziere mit behinderten Menschen auf Augenhöhe und nicht nur mit ihren Begleitpersonen. Nimm Kritik an als eine Möglichkeit, das eigene Verhalten zu reflektieren und zu verbessern.
- Nutze Bildbeschreibungen auf Social Media, um deine Beiträge inklusiver zu gestalten. beschreibe dabei etwa wichtige Inhalte und gib Texte auf Bildern wieder. Wenn du Texte auf Bilder einfügst, nutze dunkle leserliche Schrift auf hellem Hintergrund. Benutze keine Schriftart, die schwer leserlich ist durch viele Schnörkel.
- Füge Triggerwarnungen und Contentwarnungen von potenziell triggernden Inhalten hinzu. Sprichst du etwa in einem Video über deine expliziten Erfahrungen von sexueller Gewalt, dann warne Zuschauer*innen, sodass andere Betroffene besser einschätzen können, ob sie diese Inhalte gerade verkraften können.
- Nutze keine Videotools, welche flackernde Lichter, schnelles Wechseln von Farblichtern o.Ä. beinhalten. Warne Zuschauer*innen vor diesen Bildfrequenzen der Inhalte.
- Lerne die Barrieren in deiner Umgebung besser wahrzunehmen und mache andere auf diese aufmerksam. Barrierefreiheit ist leider noch keine Selbstverständlichkeit.
- Gestalte die öffentlichen Räume auf die du Einfluss hast barriereärmer oder lass behinderte Menschen wissen, welche Barrieren auf die Räume zutreffen. Ist es vielleicht möglich ein Event zu planen mit einem Ruheraum? Sind wichtige Informationen in Leichter Sprache oder sogar in Form von Piktogrammen möglich? Kannst du etwa auf Social Media darauf aufmerksam machen, wenn der Fahrstuhl derzeit außer Betrieb ist?
- Nimm teil an Aktionen von behinderten Menschen online oder auf der Straße. Sprich aber nicht für behinderte Menschen als nicht behinderte Person und rücke dich nicht in den Vordergrund.
- Folge behinderten Menschen auf Social Media, um zu lernen und auf dem Laufenden zu bleiben. Lies Bücher und höre Podcasts von behinderten Autor*innen und Podcaster*innen.
- Benenne ableistische Aussagen und kläre auf, warum diese schädlich sind. Beispiel: „Das ist so behindert.“ – Das Wort behindert ist kein böses Wort, sondern Teil einer Identität. Das Wort mit etwas Schlechtem gleichzusetzen, wertet behinderte Menschen ab.
Unsere Literatur- und Medienempfehlungen
Bücher:
- Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden – Raul Krauthausen
- Behindert und stolz – Luisa L‘Audace
- Angry Cripples Stimmen behinderter Menschen gegen Ableismus – diverse Autor*innen
- Schulen inklusiv gestalten – Annedore Prengel
- >>Bist du behindert, oder was?<< Kinder inklusiv stärken und ableismussensibel begleiten – Rebecca Maskos u. Mareice Kaiser
- Ableismus – Tanja Kollodzieyski
- Stopp Ableismus – Anne Gersdorff u. Karina Sturm
Personen auf Instagram:
- luisawoellisch
- raulkrauthausen
- rollingalana
- janina_nagel_
- luisalaudace
- rollifraeulein
- jurassicjayofficial
Filme & Serien:
- Ein ganz besonderes Leben
- Nebel im August
- Heartbreak High
- Systemsprenger
- Die Goldfische
- Don‘t Worry, Weglaufen geht nicht
- 37 Seconds
Podcasts:
- Echt behindert! Der Podcast zur Barrierefreiheit – DW
- Im Aufzug – Raul Krauthausen
- Die neue Norm Folge 47 zum Thema Ableismus – mit Anne Gersdorff
- Wartezimmer Talk – Luisa und Laura